Eingleisig brennende Felder
Urlaubszeit. Prima wenn man alles gebucht hat und frisch und motiviert in den Zug steigt um die Fahrt zu genießen.
Erst einmal los in die östliche Pampa von Schleswig-Holstein um meine Tochter bei der Ex abzuholen.
Eine der vielen Ecken Deutschlands in der die Menschen schon alleine deshalb Autos brauchen, weil der ÖPNV dort derart dünn und durch Streckenzusammenlegungen so verlangsamt ist, dass freiwillig niemand auf die Idee kommt den Zug oder den Bus zu nehmen. Um 19 Uhr wird der Bahnhof abgeschlossen, wenn man auf die letzten Züge wartet, kann man ins Gebüsch pinkeln. Vorausgesetzt man hat genug zu trinken um zu müssen… gibt ja hier nix.
Dafür hält hier eine internationale Zugverbindung, die in den Ferien auch immer gut gefüllt ist: Die Menschen wollen nach Kopenhagen und Oldenburg (Holstein) liegt zufällig an dem einen Gleis, welches zur Fähre in Puttgarden führt. Für mich ist das erst einmal gut, denn so gibt es eine regelmäßige, schnelle Verbindung dahin anstatt nur auf den Bummelzug angewiesen zu sein.
So auch am ersten Reisetag, der erstmal unauffällig verläuft, so dass der knappe Umstieg in Hamburg dank pünktlicher Züge bequem und gut verläuft.
Pünktlich geht es weiter, alles ist schön bis der Zug nach Lübeck kommt. Dort eröffnet das Zugteam den Fahrgästen, dass man aufgrund eines liegengebliebenen Zuges auf der eingleisigen internationalen Strecke nach Dänemark (wo fahren eigentlich noch EC/ICE-Züge eingleisig?) die Weiterfahrt um mindestens 30 Minuten verzögert wird.
Dem Berliner in mir erscheinen vor dem geistigen Auge die traumatischen Bilder eines S-Bahnhofes auf dem im Hintergrund eine Stimme was von „Verzögerungen im Betriebsablauf“ und „Entschuldigung“ faselt.
Immerhin können wir aus dem Zug, was natürlich umgehend und sofort von allen Rauchern genutzt wird um auf dem Bahnsteig illegal zu rauchen.
Ich vertrete mir die Beine und gehe lieber im Bahnhof stehpinkeln und verwerfe nach einem Blick auf den Bahnhofsvorplatz die Idee ich könnte einen Geldautomaten meiner Bank finden.
Lübeck ist sicherlich ein Ziel für Touristen, aber eben nur mit regionalen Linien zu erreichen. Nur der Zug nach Dänemark bringt internationales Flair in den Bahnhof.
Der Rest nimmt den FlixBus oder das Auto.
Schließlich geht es irgendwann weiter, gut zwei Stunden verspätet treffe ich ein und kann mit meiner Tochter dann gleich noch weitere gemeinsame Vater-Tochter-Stunden verbringen, bevor es einen Zug zurück gibt. Das ist dann auch noch der jetzt natürlich volle Regional-Trecker, der uns zum Umstieg in Lübeck zwingt, bevor wir endlich in der einzig relevanten Siedlung mit dem Namen „Stadt“ der ganzen Region, also Hamburg, eintreffen. Vier Stunden später als geplant.
Im Kopf bin ich schon beim Fahrgastrechteformular, aber sowas mache ich, aus gutem Grund immer erst nach der Reise einmal gesammelt.
Immerhin spare ich so Geld für das Schließfach, denn wir können nun direkt ins Hotel und hinterher gepäckfrei den ersten Rundgang machen.
Der Hamburger Hauptbahnhof wird ja von Menschen durchaus auch gemieden, weil man da hinter jedem Mülleimer Bösewichte (Mörder, Entführer und so) und Obdachlose (Mörder, Entführer und so) vermutet. Insbesondere natürlich deshalb, weil es dort so viele mutmaßlich fremdländische Menschen gibt. Eine NoGo-Area für alle, die auch sonst überall NoGo-Areas sehen.
Ganz bestimmt sogar gibt es hier eine Anzahl von Taschendieben und der Bahnhof ist vielleicht auch wuseliger als manch anderer, was nicht zuletzt daran liegt, das gefühlt jedes öffentliche Verkehrsmittel der Stadt irgendwann durch oder am Hauptbahnhof vorbei zu fahren scheint (außer den Hafenfähren).
Die Menge der Menschen kann vielleicht bei einigen etwas Angst erzeugen.
Trotzdem geht meine Tochter lieber hier auf das saubere Bahnhofsklo, als im Zug auf die Toilette, was bei der Damentoilette immer zu einem längeren Aufenthalt führt. Der Eintritt von 1 € ist hoch genug selbst Bösewichte mit Villa und Elbblick in Blankenese vom Besuch der Toilette abzuhalten. Aber die fahren eh nicht Zug.
Irgendwann ist halt auch mal wieder Schluss mit Urlaub und es geht auf den Rückweg.
Zum Glück gelingt die Rückgabe bei der Ex pünktlich und der Rest passiert mal wieder nur mir alleine.
Kaum ist die Tochter mit Mutter vom Bahnsteig verschwunden, nimmt also das Schicksal seinen Lauf: Der Rückzug, der EC aus Kopenhagen, wird verspätet gemeldet.
Im Grunde regt mich das nicht besonders auf. Die Hoffnung den gebuchten frühen ICE in Hamburg Richtung Berlin zu erreichen ist schon bei früheren Gelegenheiten erloschen.
Der Zug von der Fähre kommt zu 99,9% zu spät. Käme der pünktlich, würde ich das Werk von Bösewichten dahinter vermuten und laufen.
Ich richte mich geistig also schon auf die 90 min Aufenthalt in Hamburg bis zum späten Zug ein. Nix neues.
Die Zugbegleiterin vermutet euphorisch der ICE würde vielleicht warten, denn man käme vielleicht noch (fast) pünktlich an, ich aber lasse sie wissen, das derlei Wunder in den Bereich der Science Fiction gehören.
So ist es dann am Ende auch: Im Grunde um 2 Minuten zu spät, ist der ICE längst weg.
Bis hierhin wäre es auch nichts, worüber man erzählen müsste. Aber ich, mit Sitzplatzreservierung, laufe ins Reisezentrum um möglicherweise eine für den späteren Zug einzutauschen und werde gleich an der Tür von einem Mitarbeiter darüber informiert, dass es an der Strecke nach Berlin derzeit brenne und der Spätzug schon 20 min später gemeldet ist.
Reservierungen haben sie dann auch keine mehr und der Zug wird mittlerweile mit Startzeit 23:01 Uhr geführt.
Ein paar Mitgereiste aus dem Dänemark-Zug erkennen mich und fragen nach der Verbindung Richtung Berlin und ich teile meine, dank DB-App errungenen Kenntnisse mit ihnen, die immerhin aktueller als die des vor Ort herumlaufenden Bahnpersonals sind.
Es bildet sich eine ganze Gruppe gestrandeter Reisender, man teilt seine Infomationen und da man ja eh nichts besseres vor hat, beginnt man sich zu unterhalten.
So werde ich in meinem Wunsch bestätigt, selbst mal nach Kopenhagen zu fahren, denn zwei Reisende berichten begeistert von der Leichtigkeit des Radfahrens in der Stadt obwohl beide sonst nicht immer Rad fahren. Man habe aber neue Eindrücke mitgenommen und verstehe so besser, warum man mehr Rad-Infrastruktur auch in Deutschland brauche.
So vergeht in der Gruppe bei Gesprächen über das Leben, das Universum und den ganzen Rest die Zeit bis zur Abfahrt recht flott und um 23:15 Uhr rollt es dann auch endlich.
In Berlin so etwa um 1:00 Uhr morgens, spiele ich selbst noch ein paar Sekunden mit dem Gedanken das Gefährt eines Radfahrer-Erzfeindes (Taxi) zu steigen. Doch bei den anderen Mitreisenden Menschen, die mit mir angekommen sind, reißt die dünne Hülle der Zivilisation und es gibt Kämpfe um die anwesenden Taxis. Ich gehe dann doch zur Tram und nutze bis nach Hause den Nachtverkehr. Ruhig. Ohne Stress. In der lauen Nacht.
Wäre der Koffer nicht so groß, hätte ich mir wohl glatt ein Mietrad genommen 😉
Jemand hatte gesagt: „[…]Ist halt blöd, dass die Bahn nicht ausweichen kann. Da ist der Bus klar im Vorteil.“
Möglicherweise klappt das vielleicht auch manchmal so. Allerdings ist ein Bus, der sich bei gesperrter Autobahn auf Umwege begibt, dann auch nicht mehr pünktlich und man sitzt auf den engen Bussitzen im Stau ohne sich mal bewegen zu können (wie etwa im Zug). Dazu kommt: Da in diese Ecke traut sich selbst der Fernbus nur wöchentlich und braucht dafür viel länger.
Der Flixbus nach Hamburg alleine wird derzeit mit mindestens 3 h 15 min angegeben entgegen den 1 h 42 min der Bahn. In die Ecke rund um Oldenburg kommt man wöchentlich selbst mit Tricks mit dem Bus nur in Zeiten zwischen 5 und 9 h. Das gleicht der „günstige“ Preis nicht aus.
Mit dem Zug erreiche ich Oldenburg (Holstein) täglich im Schnitt in knapp 3 h + ca. 20 min Umsteigezeit.
Letzteres ist, bei unfall- und staufreier Straße gerade noch schneller als das Auto, aber deutlich entspannter.
Apropos Stau: Wie oft unterhalten sich Autofahrer im Stau eigentlich mit den Menschen aus anderen Autos? Ich habe nicht das Gefühl, dass eine Wartezeit da so entspannt mit Plaudereien abläuft… und es ersetzt einem keiner bis zu 75% der Kosten fürs Ticket.
23758 Oldenburg in Holstein, Deutschland
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